Performance bei Steleneinweihung in Leipzig

Auf der sächsisch-thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung (STIGA) 1897 in Leipzig stellten Gewerbetreibende unter anderem Tropentechnik und Kolonialwaren vor. Teil der Ausstellung war auch eine sogenannte „Völkerschau“, eine kolonial-rassistische Zurschaustellung von Menschen. Im Falle der STIGA waren dies Schwarze Menschen aus dem heutigen Tansania.

Eine Schwester (Tania Kolbe, GfzK Leipzig) kuratierte zusammen mit Leipzig Postkolonial die Veranstaltungsreihe „Colonial memory: ReTelling DOAA – Decolonise STIGA!“. Sie lud Ras Tesfaldet Yohannes und mich ein bei der Einweihung einer Stele, die die erniedrigende Zurschaustellung aufarbeitet und daran erinnert, Stimme zu zeigen.

Zuerst wollte ich mich nicht mit diesem Kapitel Schwarzer Geschichte auseinandersetzen, hatte Angst, was die Infos und Bilder mit mir machen würden. Doch dann fasste ich Mut, arbeitete mich durch Onlinequellen und -Archive.

Erst dadurch wurde mir wirklich bewusst, in welch grauenvoller Regelmäßigkeit diese rassistischen Inszenierungen große Zuschauer*innenzahlen anzogen.

In meiner Performance stelle ich Schmerz, Widerstand und Sanftheit in aller Gleichzeitigkeit dar.

elementar erinnert

wie Stein
der widerständig
dem Meisel trotzt
dem Versuch uns
in Manegen in Zoos
in Dörfern und Bastrock
zu dem zu formen
worüber sie sich
überlegen fühlen
wie Stein ein Gebirge fast
sind wir
was fortbesteht

wie Wasser
das wagemutig
Wege findet
weiterzugeben
was sich zutrug
was Vorfahr:innen
die Würde
die Heimat
die Namen nahm
wie Tropfen
vereint zum Erinnerungsfluss
spülen wir hervor
was nicht vergessen werden wird

wie Wind
der mal mäßig mal kräftig
die Selbstgerechten
beim Sonnenbad stört
denn ihre Geschichte
vergiftet verzerrt
und vertuscht die unsere
denn ihre „Völker“schauen gingen
über Jahrzehnte
über Leichen
überall hin
und dann kamen die Massen
mit Rabatten für Schulklassen
und der Glaube an Mythen
wuchs und wuchs und wucherte
von Wilden von Menschenfressern
wie Wind bald wie Zyklone
künden wir
was uns zu lange nachwehen wird

wie Feuer
das zornig
im Eiswald
des Verschweigens lodert
legen wir offen
wer profitierte
die Zoobesitzer die Kirmesbetreiber
die Ausbeuter und Schädelvermesser
wie Feuer der Brandrodung gleich
entfachen wir
was geheilt werden wird

wie Erde
tragen wir Früchte
weiter
an unsere Kinder
und aus uns heraus
sind unser eigener Dünger
wie Erde ein Gewächshaus ohne Grenzen
wohnt in uns
was neubelebt werden wird

die Zukunft

in der ich
mich
nicht mehr
elementar schutzbemänteln muss

noch gegenwärtig
bin ich
unfreiwillig

verhärtet
nein widerständig
wie Stein
und so sag ich
the show is still going on
im neuen Gewand
schau nach Hamburg nach Leipzig

bin zerronnen
nein wagemutig
wie Wasser
und so erinner ich
wer Schwarze Körper stetig entmenschlicht

bin nicht sichtbar
nein kräftig
wie Wind
und so verkünd ich
dass die Zookasse noch immer klingelt

bin erstickt
nein glühend
wie Feuer
und so züngel ich
wie beschämend und willkürlich vergesslich das ist

bin geschändet
nein wiederbelebt
wie Erde
weiß ich
dass unser heute
schon morgen
mit ähnlich
grausiger Vergangenheit verwächst

doch
selbst weiße Schreckensmär
bleibt nicht
unverbesserlich
und so beobachte ich
und dann erinnere ich
zukünftig
wie ich
und unsere Nachfahr:innen
ihr Wiedergutmachen erlebt haben werden
und das darf nicht
das soll nicht das wird nicht
rein
utopisch
sein

(Landouma Ipé, 2021)

Mehr über die „Deutsch-Ostafrikanische Ausstellung“ (DOAA):

Die DOAA war eine Sonderausstellung der STIGA. Integraler Bestandteil war die „Völkerschau“ für die 47 Männer, Frauen und Kinder in der damaligen Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ unter bislang unbekannten Umständen „angeworben“ wurden. Vom Publikum getrennt hinter einem doppelten Zaun wurden sie im Ausführen inszenierter alltäglicher Handlungen wie Kochen, Jagen, Waschen sowie angeblich traditioneller Tänze und Schaukämpfe „gezeigt“.

https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2022/04/erinnerung-an-die-stiga-1897-stele-im-clara-zetkin-park-wird-am-24-april-enthuellt-444875

Die Organisatoren um den Kolonialoffizier Kurt Blümcke hatten die Ausstellung nach der Vorstellung einer erfolgreichen und friedlichen Musterkolonie aufbauen lassen. Sie orientierten sich dabei an den vom Deutschen Reich kontrollierten Gebieten im heutigen Tansania, Ruanda, Burundi und dem Kionga-Dreieck im nördlichen Mosambik (damals „Deutsch-Ostafrika“).

Erklärtes Ziel der Ausstellung war es, für die „koloniale Sache“ in der breiten Bevölkerung und unter Unternehmen in Mitteldeutschland zu werben. Für 30 Pfennig Eintritt konnten die Besucher einen Rundgang entlang von Nachbauten kolonialer Gebäude und vorbei an den afrikanischen Menschen unternehmen. In dieser Zurschaustellung wurden die Afrikanerinnen und Afrikaner einer angeblich überlegenen deutschen Kultur gegenübergestellt. Diese konstruierte Überlegenheit funktionierte nur durch eine Abwertung der Ausgestellten. Die rassistische Praxis der Menschenausstellung in der DOAA haben nicht alle von ihnen überlebt. Über die Biografien der 47 Menschen, ihre Gedanken, Perspektiven und Wünsche, ist bisher kaum etwas bekannt.

https://www.l-iz.de/politik/brennpunkt/2022/04/erinnerung-an-die-stiga-1897-stele-im-clara-zetkin-park-wird-am-24-april-enthuellt-444875

Bei unserem kleinen privaten Treffen nach der Einweihungen sprachen wir auch von der Aussicht, dass die Stele von Menschen, die diesen Teil der Geschichte weiterhin begraben wollen, beschmiert werden könnte. And that’s exactly what happened, I guess…

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